Gemeinsam kochen
amilienleben und Strukturen haben sich mit dem Wandel unsere Zeit verändert: Aus den vorindustrielen Mehrgenerationsfamilien, die eher einer Arbeitsgemeinschaft glichen, da Kinder sowie alte Menschen in diesem Verband arbeiten mussten um die Existenz zu sichern, entwickelten sich durch die fortschreitende Industrialisierung privatisierte Kleinfamilien.
Arbeitsprozesse und Familienleben, Recht auf Kindheit und Bildung, sowie auch Altersruhe setzten neue Definierungen des Zusammenlebens. Aufgrund der verschiedenen Zeitmodule, die den Alltag von Jugend und Senioren bestimmen, ist es häufig nicht mehr möglich, dass sie miteinander in Kontakt treten. Um eine Schnittstelle zwischen den Generationen zu schaffen, boten wir das gemeinsame Kochen an. Senioren sollten alte Rezepte überliefern und die Jugendlichen diese nachkochen.
12 Jugendliche im Alter von 12-17 Jahren mit unterschiedlichem familiären Hintergrund, sowie Nationalitäten meldeten sich zum Projekt.
Auf der Seite der Senioren erklärten sich zwei städtische Einrichtungen bereit an diesem Projekt teilzunehmen. Sechs Damen aus der Einrichtung für das betreute Wohnen im Haunerfeld Ge-Buer, sowie sechs Senioren aus der Pflegeeinrichtung für Demenzerkrankte in Ge-Feldmark.
Aufgrund der sehr unterschiedlichen Lebensumstände der Bewohner beider Einrichtungen teilten sich die Jugendlichen in beide Häuser auf.
Die Damen der Einrichtung Haunerfeld sind trotz ihres hohen Lebensalters, im Schnitt zwischen 80 und 90 Jahren, noch sehr aktiv und nehmen an den unterschiedlichsten Freizeitangeboten teil. Alle Damen haben einen engen Kontakt zu ihren Familien, so dass der Umgang mit jungen Menschen ihnen nicht fremd ist. Durch ihre offene, herzliche Art machten sie es den doch zunächst sehr verunsicherten Jugendlichen einfach, ins Gespräch zu kommen.
Schnell wurde aus Zaghaftigkeit gemeinsames Lachen und sofort beschloss die Gruppe: „Wir wollen gemeinsam kochen“. Außerdem äußerten die Damen den Wunsch auch Gerichte kennenzulernen, die heute die Jugendlichen bevorzugen.
Bevor das eigentliche Kochen begann, gab es erst einmal den Austausch, welche Speisen es denn früher gab und welche es vielleicht gar nicht mehr gibt, wie z.B. die Steckrübe (wann wird sie überhaupt geerntet). Immer verbunden mit Kindheitserinnerungen der Damen.
So gaben die Seniorinnen ihre Erfahrungen und ihr Wissen weiter und mit jedem Treffen wussten die Jugendlichen etwas mehr über das Leben wie es früher war.
Gemeinsam wurde geschält, geschnitten, ausprobiert und unter der fachkundigen Anleitung der Damen, lernten die Jugendlichen das selbständige Kochen.
In kürzester Zeit entwickelte sich in dieser Gruppe aus einem Miteinander ein Füreinander. Senioren nahmen am Alltagsgeschehen der Jugendlichen teil, sie fragten, wie sich Klausuren gestaltet haben, wie das Treffen mit Freunden war.
Immer verbunden mit den Lebenserfahrungen der Senioren und deren Jugendgeschichten. Früher z.B. trafen sich die Jugendlichen an der Persil-Uhr, heute in einem Cafe.
So entwickelte sich ein Großeltern-Enkelkind-Verhältnis, das über das Kochen hinaus bestand hat. Die Gruppe der Senioren des Pflegeheimes bestand aus vier Damen und drei Herren aus den Jahrgängen 1920-1928. Im Gegensatz zu den Senioren der anderen Gruppe, benötigen diese Menschen eine dauerhafte Betreuung und gleichbleibende Rahmenbedingungen, da sie sich sonst nicht mehr alleine orientieren können. Aus diesem Grund wurden die Jugendlichen vor der ersten Kontaktaufnahme seitens der anleitenden Pädagogin und der Pflegeleitung über das Krankheitsbild Demenz aufgeklärt und auf eventuelle Verhaltensmuster, die uns fremd erscheinen können, aufmerksam gemacht.
Natürlich waren die jungen Heranwachsenden mehr als aufgeregt, als sie zum ersten Mal die Senioren trafen. Doch ähnlich wie in der anderen Gruppe, meisterten die Senioren die Begegnung durch ihre freudige Erwartungshaltung und Offenheit.
Hier waren keine langen Vorgespräche möglich, sondern Aktion war gefragt. Etwas tun, was man schon lange nicht mehr tun konnte, Kochen eine Tätigkeit, die Jahrzehnte zu ihren Alltagspflichten gehörte, zusammen mit jungen Menschen verbreitete große Freude.
So startete die Gruppe mit Pfannkuchen und es war, als ob sie sich schon lange kennen. Die Jugendlichen hinterfragten immer wieder Dinge der Zubereitung und die Senioren gaben fleißig Hilfestellung und freuten sich das sie ihr Wissen weitergeben konnten. Die Jugendlichen lernten die Senioren in ihrer Erinnerung abzuholen und erfuhren somit die einzelnen spannenden Lebensgeschichten und bauten so sehr enge persönliche Bindungen auf. Die Handlungen und Gespräche waren auch immer wieder mit körperlicher Nähe begleitet, welche die Senioren einforderten und die Jugendlichen gerne zuließen. Das „Begrüßungsdrücken“, sowie das „Wangenstreicheln“, gehörten zu den Treffen dazu so selbstverständlich dazu, wie das Gemüseschneiden.
Immer wieder gelang es den Senioren, die Jugendlichen mit höchsten Gedächtnisleistungen zu beeindrucken, wenn sie z.B. aus ihrer Schulzeit Gedichte oder Lieder zitierten.
Auch in dieser Gruppe war das gemeinsame Tun genauso wichtig, wie die Gespräche.
Statement von einem Jugendlichen:
“Ich habe nicht nur etwas über das Kochen gelernt, sondern ich komme hierher und werde liebevoll begrüßt und egal, was diese Menschen erlebt haben, sie vermitteln mir durch ihre ständige Freude, dass das Leben schön ist und man sich über kleine Dinge und Momente freuen soll. Wenn ich hier bin habe ich das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun.“
Statement einer Seniorin:
„Wenn ihr hier seid, fühl ich mich ganz jung, aufgeregt und lustig.“