Gedenkstättenfahrt des Ziegenmichel e.V. 2016 nach Krakau/Polen und Auschwitz/Birkenau
Der Ziegenmichel e.V. hat im Dezember 2016 eine Gedenkstättenfahrt mit Schülerinnen/Jugendlichen aus Gelsenkirchen nach Krakau/Polen und zum Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau veranstaltet.
Die Teilnehmer an der Fahrt waren SchülerInnen der 11. Jahrgangsstufe im Alter von 16 – 18 Jahren. Die Jugendlichen waren die durch ihr großes Interesse an Geschichte und Kultur für die Fahrt prädestiniert.
Sinn und Zweck dieser Gedenkstättenfahrt war es, den Jugendlichen direkt vor Ort die Geschehnisse des Dritten Reiches und des Holocausts vor Augen zu führen und erlebbar zu machen. Durch diese starke Emotionalität werden die Jugendlichen zu Multiplikatoren und geben ihre Erfahrungen und Gefühle an ihr soziales Umfeld und an die nächste Generation weiter, so dass die Geschehnisse des Holocausts niemals in Vergessenheit geraten aber durch die eigene Erfahrung auch hoffentlich nie wieder geschehen. Gemeinsam erarbeiteten wir darüber hinaus ein thematisches Endprodukt, dass die Erfahrungen und Gefühle, die bei dieser Fahrt entstanden sind, zusammenfasst.
Vor der Fahrt fand eine Infoveranstaltung, eine Kennenlern- und Auswahlrunde sowie vier vertiefende Thementreffen statt, in denen der Ziegenmichel e.V. die geschichtlichen Eckpunkte des Dritten Reichs und Hintergründe zum Holocaust in Form Referaten mit den SchülerInnen erarbeitet hat.
Neben dieser intensiven Vorbereitung auf die Thematik fand eine konzeptionelle Ideenentwicklung für das Endprodukt dieser Fahrt statt: Ein grafisches Kunstwerk. Die SchülerInnen sollten Vor Ort nicht ihren Gesamteindruck des Holocausts ausdrücken, sondern ihren Fokus auf ein Detail legen und diese einzelne Grausamkeit intensiv und mit viel nachträglicher Recherche in Wort und Bild in Szene setzen. Die daraus entstandene typografische/fotografische Collage mit fast schon poetischen Textfragmenten soll auf menschengroßen Plexiglasplatten gedruckt werden, die als Stellagen in Räumlichkeiten eine stete Erinnerung daran ist, dass sich die Gräueltaten des Holocaust in ähnlicher Form auch durch unsere heutige Zeit zieht und wiederspiegelt und immer und überall wieder in ähnlich grausamer Form neu entfachen kann.
Das Programm der 5-tägigen Fahrt wurde von den Betreuern sehr detailliert und kulturell abwechslungsreich gestaltet. Durch die Möglichkeit, einen deutschsprachigen Guide in Krakau zur Verfügung zu haben, mit dem der Ziegenmichel e.V. bereits seit vielen Jahren zusammenarbeitet, war es möglich, ein sehr persönliches und „hinter die Kulissen“-blickendes Programm zu gestalten, fernab von den touristischen Oberflächlichkeiten.
Am Abend des 13.12. trafen wir uns mit den TeilnehmerInnen am Ziegenmichelhof, wo wir mit einem modernen Reisebus Richtung Krakau starteten. Während der Fahrt, die ca. 16 Stunden dauerte, haben wir uns der Thematik mit einem Film über Auschwitz („Am Ende kommen Touristen“) angenähert. Zwischenzeitlich standen die Betreuer den SchülerInnen Rede und Antwort, so dass sich ein gutes Vertrauensverhältnis und gegenseitiges Verständnis entwickelte.
Am Vormittag des 14.12. erreichten wir schließlich unser Hotel im Zentrum von Krakau. Nach dem Einchecken und einem stärkendem Frühstück hatten die SchülerInnen die Möglichkeit, die Koffer auszupacken und sich frisch zu machen. Gegen Mittag begrüßte uns dann unser Stadtführer und Guide, Christian Vogt. Nach einer kurzen Begrüßung und einer allgemeinen Einführung zu Krakau haben wir uns dann auf den Weg zu unserer ersten Erkundungstour gemacht. Auf dem Programm stand die Erkundung der Altstadt /Wawel; wir haben ein Kopfhörersystem bekommen mit dem wir sämtliche Infos sehr gut aufnehmen konnten. Neben den Tuchhallen, die den Mittelpunkt von Krakau bilden, haben wir die Marienkirche, den Weihnachtsmarkt und das Schloss mit der Kathedrale besichtigt. Nachmittags besuchten wir dann den unterirdischen Marktplatz, ein sehenswertes interaktives Museum, dass die historische Entwicklung des Krakauer Marktplatzes anschaulich darstellte. Anschließend haben wir in einem typisch polnischen Restaurant regionale Gerichte gegessen, die die Schüler zunächst mit Vorsicht ausprobiert haben. Während des Abendessens schilderten die SchülerInnen ihre ersten Eindrücke und stellten konkrete Fragen zum Leben in Polen bzw. in Krakau. Nach dem Abendessen haben wir noch den Weihnachtsmarkt besucht.
Gegen 22.30 Uhr sind wir dann ins Hotel zurückgekehrt und haben uns auf den morgigen Tag, die Schindler-Tour, vorbereitet.
Am Morgen des 15.12. haben wir uns um 8 Uhr am Frühstücksbuffet gestärkt. Anschließend haben wir uns dann auf den Weg unseres heutigen Themenschwerpunkts „Auf den Spuren von Oskar Schindler“ gemacht. Gegen 9.30 Uhr fuhren wir zusammen mit unserem Stadtführer zum Arbeitslager Plazsow . Die Gruppe war die ganze Zeit über sehr konzentriert und ergriffen, als der Guide von dem Arbeitsalltag des Lagers unter der grausamen Führung von Amon Göth berichtete.
Aufgrund des schlechten Wetters konnten wir nicht das gesamte Gelände erkunden und hielten uns lediglich am Rand auf, wo wir die Ruinen eines jüdischen Friedhofsgebäudes sehen konnten. Auch die ehemalige SS-Villa, die links daneben lag und bewohnt war, hat alle sehr beeindruckt – hier fanden im Keller grausame Taten statt. Die Tatsache, dass sie heute ganz normal als Wohnhaus dient hat alle SchülerInnen sehr schockiert. Auch die ehemalige Villa von Amon Göth hat die SchülerInnen sehr aufgewühlt. Viele SchülerInnen kannten diese Villa aus dem Film Schindlers Liste und waren schockiert, dass der normale Alltag in dieses Monument des Grauens eingezogen ist.
Wir fuhren anschließend mit dem um das Lager herum zum Denkmal, von wo wir das gesamte Areal begutachten konnten. Die SchülerInnen waren von der Größe und Weitläufigkeit beeindruckt und kamen schnell überein, dass dieses Gelände noch mehr als Mahnmal hervorgehoben und geschützt werden sollte, um zu verhindern, dass die schrecklichen Taten in Vergessenheit geraten. Der Guide hat uns berichtet, dass das in baldiger Zukunft auch geschehen soll.
Danach fuhren wir weiter zum ehemaligen Krakauer Ghetto. Wir besuchten den Hauptplatz mit der Adlerapotheke. Die auf dem Platz aufgereihten Stühle stehen symbolisch für die Menschen, die in diesem Ghetto leben mussten. Unter menschenunwürdigen Verhältnissen, mit der ständigen Bedrohung durch Folter, Hunger und Tod mussten hier viele tausend Juden verharren, bis sie anschließend in Konzentrationslager weitertransportiert wurden.
Gegen 12 Uhr fuhren wir wieder ins Jüdische Viertel Kazimierz, wo wir die Remuh-Synagoge mit Altem Friedhof besucht haben. Die SchülerInnen waren sehr berührt, diesen Ort sehen zu dürfen und haben viele Fragen gestellt. Anschließend haben wir einen Rundgang in Kazimierz gemacht.
Nach dem Mittagessen machten wir uns dann auf den Weg in die Schindler-Fabrik. Dort angekommen, haben wir mit den SchülerInnen vereinbart, dass sie sich die Ausstellung selbständig ansehen können; viele blieben aber bei den Betreuern, die den SchülerInnen stets emotional zur Seiten standen. Die Ausstellung in der Schindler-Fabrik war sehr authentisch und interessant und hat die SchülerInnen stark bewegt. Der Gesprächsbedarf der SchülerInnen und die emotionale Unterstützung durch die Betreuer war sehr groß, so dass nach der Besichtigung noch zahlreiche Gespräche stattfanden.
Um 17 Uhr kehrten wir dann zum Hotel zurück, wo wir uns kurz ausgeruht und für den Abend frisch gemacht haben. Um die Eindrücke des Tages etwas abzumildern haben wir gegen 19 Uhr ein klassisches Konzert besucht, das in einer sehr persönlichen Atmosphäre stattgefunden hat und die SchülerInnen sehr beeindruckt hat. Anschließend haben wir gemeinsam zu Abend gegessen und sind gegen 21.30 Uhr zum Hotel zurückgekehrt, um uns für den morgigen Tag – die Besichtigung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau – vorzubereiten.
Die Vorbereitung der SchülerInnen verlief Folgendermaßen: Die Betreuer haben im Vorfeld Begriffe definiert, auf die sich die SchülerInnen in 2er- bzw. 3er-Teams konzentrieren sollten. So sollten unterschiedliche Fragmente des Grauens visualisiert werden und nicht das Gesamt-Schreckliche, von jedem Schüler stets wiederholt.
Am 16.12. ging es morgens schon sehr früh los. Um 7 Uhr gab es Frühstück, welches extra für uns so früh vorbereitet wurde. Gegen 7.30 Uhr fuhren wir dann Richtung Auschwitz-Birkenau los. Um 9 Uhr erreichten wir unser Ziel und haben unseren Guide getroffen. Unsere Führung startete pünktlich um 9.30 Uhr im Stammlager.
Von unserer Betreuerin Franziska Krönung wurden die Fotos der von den Schülern ausgewählten Motive geschossen. Dieses wurde aus Pietätsgründen nur von einer Person gemacht. Wenn die SchülerInnen ein Motiv gefunden haben, dass zu ihren Begriffen für das Endprodukt passte, hat Franziska Krönung dieses Foto für sie aufgenommen.
Die Besichtigung des Stammlagers war für alle von uns ein starkes emotionales Ereignis. Das Begehen der Räumlichkeiten, die Authentizität des Ortes, an dem diese Gräueltaten passierten, hat alle Teilnehmer sofort ergriffen. Durch Räume zu schreiten, wo vor über 70 Jahren Nationalsozialisten ihr Unwesen trieben, Schriftstücke zu sehen, auf denen systematisch Menschenleben kategorisiert wurden und über Leben und Tod entschieden wurde, all das hat die Teilnehmer emotional zutiefst berührt. Die Maschinerie der Menschenvernichtung, die bürokratisch Systematik ist unvorstellbar schwer zu ertragen gewesen. Erste Einzelgespräche zwischen SchülerInnen und Betreuer fanden bereits jetzt statt. Die Steigerung des Schreckens fand statt, als wir die Räumlichkeiten der persönlichen Habseligkeiten der Häftlinge besichtigt haben. Berge von Schuhen, Brillen, der unvorstellbare Anblick der Haarberge löste eine tiefe Welle der Betroffenheit und Trauer aus. Fotos von den Häftlingen, von Frauen und Kindern, abgemagert, mit schreckensverzehrten/angstverzehrten Gesichtern haben einige der SchülerInnen zutiefst getroffen. Vertrauensvolle Gespräche und die Nähe zu den Betreuern haben geholfen, diese Emotionen durchzustehen und die SchülerInnen zu stärken.
Die Grausamkeit begreifend und für sich selber begreifen, dass sich so etwas unter keinen Umständen mehr wiederholen darf, haben wir noch weitere Orte aufgesucht, wie die Gefängniszellen und die Gaskammer. Alle SchülerInnen waren fassungslos aufgrund der Gräueltaten der Nazis.
Gegen 12 Uhr waren wir mit der Besichtigung des Stammlagers fertig und wir machten eine kurze Essenspause mit mitgebrachten Snacks. Gegen 13 Uhr fuhren wir dann zum Außenlager Birkenau. Hier haben wir uns zunächst aus dem Turm am Eingang des Lagers einen Überblick über die gigantischen Ausmaße des Lagers gemacht. Die Dimensionen bzw. die Größe des Vernichtungslagers war überwältigend und erschreckend, eine eigenartige Stimmung ergriff jeden von uns.
Wir sind zu den ersten Baracken gegangen und haben uns die menschenunwürdigen Räumlichkeiten angesehen. Unser Guide hat viel von individuellen Schicksalen erzählt, die das Ganze mehr als anschaulich machten und uns die Grausamkeit spüren ließen. Die Sanitärbaracke, die Frauenbaracke, die Kinderbaracke - das waren alles Orte, die uns eine große Wut, Verzweiflung und Trauer spüren ließen. Die Rampe, die Gleise auf denen die Züge das Lager erreichten, der Waggon – wir haben uns in unseren Thementreffen zwar theoretisch mit diesen ganzen Details auseinandergesetzt, dennoch war es ein zutiefst beeindruckendes Erlebnis, all das in Realität und vor Ort zu sehen.
Um unserer Anteilnahme Ausdruck zu verleihen haben wir einen Gedenkstein vorbereitet, den alle Teilnehmer unterschrieben haben. Diesen Stein haben wir an der Gedenktafel abgelegt. Einige der SchülerInnen hatten das starke Bedürfnis, ein kurzes und spontanes Statement ihrer Eindruck und Gefühle zu geben, was uns als Betreuer sehr berührt hat.
Bis zur Dämmerung - gegen 16 Uhr - haben wir das Vernichtungslager erkundet und Geschichten und Erzählungen von unserem Guide aufgenommen, so dass wir die letzten waren, die das Lager verließen. Die Stimmung bei der Rückfahrt war niedergeschlagen, fassungslos und voller Wut und Trauer. Die Betreuer standen allen SchülerInnen zur Seite, um die Eindrücke verarbeiten zu können.
Um 17.30 kehrten wir ins Hotel zurück, wo wir uns kurz aufwärmen und umziehen konnten, da wir gemeinsam zu Abendessen wollten. Gegen 19 Uhr haben wir uns dann in einem Lokal mit polnischer Küche eingefunden, wo wir nochmals die Eindrücke des Tages miteinander besprochen haben.
Am Morgen des 17.12. haben wir nach dem Frühstück ebenfalls noch weitere Gespräche mit den SchülerInnen geführt und uns auf die konkrete Aufgabenstellung zur Erarbeitung des Endproduktes konzentriert. Gegen 9.45 Uhr sind wir dann zum Salzbergwerk „Wieliczka“ gefahren, wo unsere Führung mit Guide um 11.30 Uhr startete.
Das Salzbergwerk war ein sehr beeindruckendes und andächtiges Erlebnis. Sich durch die Gänge und Höhlen zu bewegen entführte uns in eine andere, vergangene Zeit. Besonders beeindruckt waren die SchülerInnen von der unterirdischen Kathedrale, die eine fast schon meditative Wirkung erzielt hat. Diese sehr interessante Führung endete um 14.30 Uhr.
Gegen 15.30 Uhr kehrten wir ins Hotel zurück. Einige SchülerInnen haben den Wunsch geäußert, selbständig den Weihnachtsmarkt zu besuchen, daher haben wir einen Zeitpunkt ausgemacht, wann sie wieder ins Hotel zurückkehren sollen. Gegen 17 Uhr waren dann alle SchülerInnen wieder zurück und wir haben im Hotel gemeinsam zu Abend gegessen.
Nach dem Essen haben wir uns umgezogen und frisch gemacht, da wir für Abends noch ein kulturelles Programm hatten: Den Besuch eines Theaterstückes.
Gegen 23 Uhr sind dann alle SchülerInnen zurück ins Hotel und haben noch am selben Abend mit dem Packen der Koffer begonnen.
Am frühen Morgen des 18.12. haben wir gemeinsam gefrühstückt. Gegen 8.30 Uhr haben wir dann sämtliche Zimmer geräumt und auf Sauberkeit kontrolliert. Alle SchülerInnen haben sich genau an die Absprachen und Zeitpläne gehalten, so dass wir um 8.40 Uhr das Hotel in einem tadellosen Zustand verlassen konnten und unser Gepäck in den Reisebus einladen und abfahren konnten. Auf der Rückfahrt wurde der Wunsch geäußert, den Film Schindlers Liste zu schauen, da die SchülerInnen das Erlebte noch einmal reflektieren wollten. Es fanden auch noch Gespräche zur Erarbeitung des Kunstprojekts statt und wir haben die schriftlichen Notizen gesichtet und gelesen. Bei einer Pause hat Franziska Krönung noch Portraitfotos aller SchülerInnen aufgenommen, die wir für die Fotocollage benötigen.
Gegen 22.15 Uhr kamen wir pünktlich am Ziegenmichelhof an, wo schon alle Eltern auf ihre Kinder warteten. Der Abschied war von allen Seiten sehr herzlich und vertrauensvoll.
Schlussfolgernd kann man sagen, dass die Gedenkstättenfahrt 2016 nach Krakau/Auschwitz-Birkenau ein voller Erfolg war. Die Schüler waren sehr gut auf die Thematik vorbereitet, haben Interesse und Anteilnahme gezeigt, haben sich emotional von uns auffangen lassen, so dass sie gestärkt und mit einer sehr wichtigen Lebenserfahrung in die Zukunft blicken können. Die Tatsache, dass das von ihnen erstellte Endprodukt einem breiten öffentlichen Publikum zugänglich gemacht wird zeigt die enge Verbundenheit und die gemeinsam erfahrene und gewachsene Verantwortung mit der Thematik in den gesellschaftlichen Zusammenhang.
Auch für uns Betreuer war die Fahrt eine überaus kostbare Erfahrung, da uns gezeigt wurde, dass auch die Generationen, die nicht mehr direkt mit den Gräueltaten des Holocausts zu tun haben, nach einer Mitverantwortung für unser sicheres gesellschaftliches Zusammenleben streben und den Opfern bis in die heutige Zeit und darüber hinaus gedenken.